Das Verhalten bei Ratten - Sichtbare Signale
Sichtbare Verhaltenssignale, also solche, die von Artgenossen mit den Augen wahrgenommen werden, gehen oftmals zusammen mit direktem Körperkontakt. Trotzdem sind sie getrennt von einem Berührungskontakt zu betrachten, da sie eben auch einen primären visuellen Effekt auf eine anderes Tier haben.
Eines dieser visuellen Signale kann praktisch bei allen Nagern und somit natürlich auch bei Ratten beobachtet werden: Ein Tier legt sich mit geschlossenen Augen auf die Seite, wenn sich ihm ein anderes nähert. Auch Weibchen machen das. Dies wird manchmal als eine "unterwerfende" Geste bezeichnet, doch trifft dies nicht den Kern. Vielmehr sollte es wertneutraler beschrieben werden, indem man es bei dem betreffenden Tier als sehr unwahrscheinlich betrachten sollte, dass es das andere angreift oder kurz vorher von ihm angegriffen worden ist. Es zeigt einfach seine Friedfertigkeit oder "Unlust", irgendetwas in dieser Richtung zu tun.
Ein zweites Signal, welches Artgenossen durch Sichtkontakt wahrnehmen, zeigen Ratten, wenn sie ihrem Gegenüber ihre Seite zuwenden, mit dabei durchgestreckten Beinen und angehobenem Hinterteil. Diese Stellung können sowohl eine wie auch beide Ratten, die aufeinandertreffen und von denen eine der "Revier"inhaber, z. B. das Männchen, welches bereits in einem Käfig heimisch ist, die andere der "Eindringling" ist, einnehmen. Der Mensch würde dieses Verhalten wohl als Drohgebärde bezeichnen. Es gibt auch klare Beziehungen zwischen dem Auftreten zuletzt beschriebenen Verhaltens und einem tatsächlichen Angriff auf den Neuankömmling. Zum einen ist die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs auf das "neue" Männchen sehr viel größer, wenn sich ein oder mehrere Weibchen im Käfig befinden. Diese Möglichkeit muss aber auch relativiert werden. Meist zeigt das Männchen, das einen "höheren" Status innehat, diese beschriebenen "Droh"gebärden mit einem potentiell anschließendem Angriff. Allerdings nicht immer. Ausnahmen können auftreten, wenn das "eindringende" Männchen körperlich größer ist als der Revierbesitzer. In dem Fall zeigt der Inhaber zwar mehr der beschriebenen Gebärden, allerdings steigt dabei nicht zwangsweise die Angriffswahrscheinlichkeit. Diese hängt neben der Größe der neuen Ratte auch davon ab, welche Laute sie von sich gibt und welche Gerüche sie ausströmt.
"Droh"gebärden werden nicht nur ausgelöst durch das Erscheinen eines vermeintlichen Rivalen, sondern auch, wenn das betreffende Tier Angst hat. Dazu ist es nicht nötig, dass auch tatsächlich eine vermeintliche Bedrohung in Form einer anderen Ratte vorhanden ist. Dies kann eintreten, wenn die betreffende Ratte "urplötzlich" in ein neues, ihr bislang fremdes Territorium gebracht wird. Für die Rattenhaltung im Heimtierbereich bedeutet dies, dass das Aneinandergewöhnen zweier oder mehrerer Ratten auf "neutralem" Gebiet stattfinden sollte. Wenn dann der Faktor "Angst" ins Spiel kommt, so betrifft dieser jene Ratten gemeinsam. Genausowenig gibt es dabei einen "Revier"inhaber, der sein Territorium meint verteidigen zu müssen. Auf diese Weise läuft der Rattenhalter auch nicht Gefahr, sich seine "dominanten" und "subordinaten" Tiere selbst heranzuziehen. Solch eine Rollenverteilung kommt bei den wilden Vorfahren unserer Farbratten, rattus norvegicus zwar vor, doch kann der "Status" der einzelnen Tiere wechseln und wird erst durch individuelle Erfahrungen festgelegt. Diese beinhalten Erfahrungen auf sexuellem Gebiet oder auch in vorangegangenen Auseinandersetzungen errungene "Siege".
Grundsätzlich zeigen Beobachtungen, dass es bei Begegnungen auf neutralem Gebiet eine gewisse Ausgeglichenheit gibt zwischen Angreifer und Angegriffenem, bzw. der "aggressiveren" gegenüber der "friedfertigeren". Sobald diese Ratten jedoch auf engem Raum miteinander vergesellschaftet werden, ergibt sich, dass ein Tier die Rolle des Angreifers übernimmt, also überwiegend Angriffs- anstatt von Verteidigungsverhalten zeigt.