Rattengeschichten - Mystery |
Sie ist sehr still geworden, meine kleine Mystery! Schon als sie zu mir gekommen ist, als kleines Baby, war es immer so, als sei sie gar nicht da. Sie blieb auch später immer eine kleine, unauffällige Ratte..... und genau so heimlich hat sie sich in mein Herz geschlichen, meine Mystery!
Doch jetzt geht es ihr nicht gut. Langsam und schleichend begann es. Sie wurde immer apathischer, konnte nichts mehr mit ihren Händchen halten, kurze Zeit später nichts mehr essen, auch keinen Babybrei. Am Ende konnte sie nicht mehr laufen. Wenn ich sie in meine Hände nahm, spürte ich ihren kleinen, leblosen Körper. Sie war so schwach, dass sie ihr Köpfchen nicht mehr heben konnte. Es sackte immer wieder auf ihre Brust zurück. Ich habe sie dann in der "Krankenstation" untergebracht und in ein Iglu gelegt, das ich mit viel weichem Papier ausgepolstert hatte.
Als ich kurze Zeit später nach ihr sah, erschrak ich sehr, sie sah schlimm aus, Augen und Nase total verklebt, das Papier war getränkt voller "roter Tränen". Ich habe sie gesäubert, das Papier gewechselt und überlegt, wie ich ihr helfen könnte. Dabei hatte ich schon alles fürs Einschläfern hergerichtet, doch irgendetwas hielt mich vor diesem letzten, endgültigen Schritt ab. Ich holte eine Pipette, rührte Dosenmilch mit viel Traubenzucker an und versuchte es ihr einzuflößen. Das ging nur tröpfchenweise, viel lief daneben, trotzdem wiederholte ich es mehrmals täglich. Immer wieder musste ich ihr die total verklebten Äuglein säubern und den mit Milch verklebten Mund. Ihr Köpfchen muusste ich festhalten, da es sonst immer wieder nach unten fiel, Ich war ratlos. Schlimmer konnte es kaum werden. So entschloss ich mich, ihr zusätzlich Baytril zu geben.
Nach etwa einer Woche wurde es mit dem Ausfluss aus Augen und Nase besser (sie musste jedoch noch häufig niesen, wobei immer wieder viel dieser roten Flüssigkeit aus ihrem Näschen kam). Ungeschickt versuchte sie, sich mit den kleinen Händchen über ihre Nase zu wischen, deshalb waren ihre Ärmchen total verklebt. Ihre Finger konnte sie nicht mehr zu einem Fäustchen "ballen" und auch nicht mehr damit greifen. Es war, als hätte sie kein Gefühl in den Händen. Ihre Füße konnte sie bewegen und reagierte auch auf Druck. Jedoch laufen konnte sie nicht mehr. Ansonsten war ihr Zustand unverändert, doch so apahtisch sie auch wirkte, immer hatte ich den Eindruck, dass sie alles "mitbekommt" und genau wusste, was mit ihr geschieht! Jeden Tag schob ich das Einschläfern hinaus. Es zerrte schrecklich an meinen Nerven, wollte ich sie doch nicht mehr als nötig leiden lassen, aber auch nichts unversucht, ihr zu helfen, zumal der Tierarzt völlig ratlos war und sich nicht erklären konnte, was die Ursache für diese Erkrankung sein könnte.
Am ersten Tag, an dem ich sie mit der Pippette fütterte, hatte sie gerade mal ein! Kotbällchen abgesetzt, ich weiß noch genau, dass ich mich noch nie so über eine solche Ausscheidung gefreut hatte, dann die ganze Woche darauf nichts!
Nun ja, dachte ich, sie isst ja auch nur tröpfchenweise, aber trotzdem war es mir unheimlich, denn auch dann musste sie doch wenigstens etwas Kot absetzen können. Das "Pippi-machen " klappte jedoch. Mit einem feuchten Tuch habe ich sie täglich gesäubert. Doch so, als sei es immer noch nicht genug, bekam sie auch noch eitrigen Ausfluss. Dennoch konnte ich mich aber immer noch nicht überwinden, sie einzuschläfern, ich kann es nicht erklären, es war wie eine innere Sperre .....
Dann nach einer Woche fiel mir ein, dass unser Hund nach seinem Schlaganfall Tabletten bekommen hatte, die auch die Durchblutung des Gehirns fördern sollten. Da ich aufgrund der Symptome, die Mystery zeigte, die Vermutung hatte, dass es eventuell ein Schlaganfall gewesen sein könnte, telefonierte ich mit dem Hersteller des Medikamentes und erkundigte mich, ob ich diese Tabletten auch meiner Ratte geben könne und ob es überhaupt noch Sinn hätte, nach so langer Zeit eine Behandlung zu versuchen.
Ich machte mir große Vorwürfe, nicht viel früher auf diese Idee gekommen zu sein! Der Mitarbeiter nannte mir die Dosierung des Medikamentes und meinte, es sei auf alle Fälle noch einen Versuch wert. Ich fasste wieder etwas Mut und war voller Hoffnung.
Ich gab Mystery täglich 1/4 Tablette, achtete auf all ihre Bewegungen und auf jede noch so unscheinbare Veränderung, aber nach 2, 3, 4 Tagen war Ihr Zustand unverändert, sie war schlapp wie zuvor und konnte noch immer nur von der Pipette essen, nicht lecken, nur schlucken, wenn ich ihr die Pipette entsprechend tief in den Mund schob. Dann ab dem 5. Tag trat eine winzige Veränderung ein, ich wollte und konnte es nicht glauben und habe auch Peter gegenüber nichts erwähnt, weil ich mir nicht sicher war, ob ich es mir nicht nur einbildete. Dann am 6. und 7. Tag fing sie an, total wacklig umherzukriechen, sie kippte immer auf die Seite und der Kopf war immer noch schwer. Am 8. Tag wurde es noch besser und sie begann mehr zu essen, sabberte nicht mehr so viel und ich konnte ihr Babybrei aus der Spritze geben. An diesem 8. Tag hat sie dann das erste Mal seit 2 Wochen wieder Kot abgesetzt, zwar wenig -aber doch! Ich war happy!
Mustery war zwar immer noch sehr schwach, aber sie wurde immer kräftiger und aß immer besser. Sie konnte nach ein paar Tagen sogar selbständig Brei aus einem Schälchen aufnehmen. Immer wieder "testete" ich ihre Reaktionen. Ich schob meinen Zeigefinger unter ihre kleine Hand. Normalerweise packt eine Ratte dann zu und hält den Finger ihres Menschen fest , aber Mystery reagierte nicht..... bis zu diesem Tag. Sie griff mit ihren kleinen Fingern zu und umklammerte fast unmerklich meinen Zeigefinger . Es war ein unbeschreibliches Gefühl!
Dann wollte sie sich sogar hochziehen und ich musste die Krankenstation ringsherum mit Karton absichern , damit sie nicht herunterfallen konnte. Wenn ich bisher nicht an Wunder geglaubt hatte, aber das konnte doch nur eines sein - oder????
Ich hatte eine Videoaufnahme gemacht, die zeigte, dass Mystery völlig unkoordiniert unherkrabbelte und dabei ständig auf die Seite kippte. Wer diese Aufnahme gesehen hatte, hätte es niemals für möglich gehalten, dass es mit ihr jemals wieder besser werden könnte.
Sie sah zunächst so schlimm aus, dass ich mir bis heute nicht erklären kann, warum ich sie nicht gleich eingeschläfert habe! Nachdem sie so große Fortschritte gemacht hatte, setzte ich mich mit ihr abends für einige Minuten zu den anderen Ratten. Sie "krabbelte" zwischen der Gruppe umher und ich wünschte mir in dem Moment nichts sehnlicher, als dass sie wieder ganz gesund werden würde. Doch meine Euphorie wurde jäh gedämpft!
Mystery erlitt einen schlimmen Rückfall! Ich hatte keine Hoffnung mehr! Mystery hat mich am 22. April 1998 im Alter von knapp zwei Jahren verlassen. Sie war so tapfer und hat dennoch den Kampf um ihr kleines Leben verloren.
Ich werde Dich immer in meinem Herzen tragen! Machs gut, kleine Mystery !
"Wenn Du mich suchst, suche mich in Deinem Herzen,
habe ich dort eine Bleibe gefunden,
werde ich für immer bei Dir sein!"
In Memoriam
Erika Weiß-Geißler,
Im April 1998