Ammenaufzucht/Handaufzucht

Die Brutfürsorge bei Ratten unterliegt einer hormonellen Steuerung, am stärksten einige Tage um den Zeitpunkt der Geburt. Ab dem 2. Tag allerdings schon wird die Fürsorge immer mehr vom Saugreiz der Jungratten beeinflusst. Ratten nehmen fremde Junge umso leichter an, je kürzer ihr eigener Wurftermin zurückliegt. Das Alter der Amme sollte zwischen 4-5 Monaten betragen, dann können sie auch schwache Babys, mit sogenannter geringer Vitalität, optimal aufziehen. Vitale Würfe können aber auch von älteren Ammen gut übernommen werden.

Die innerhalb der ersten 48 Stunden nach der Geburt erfolgende Prägephase Mutter-Babyratte erfordert viel Fingerspitzengefühl, sollte es notwendig sein, Babys in dieser Zeit einer Amme zu überantworten. Neugeborene Ratten sind meist noch frei eines jedweden Eigengeruchs. Um also zu vermeiden, dass mit Hilfe des Geruchssinns die Babys als "fremd" erkannt werden, sollten sie vorher entweder mit dem Käfigeinstreu oder mit dem Geruch der Amme "verwittert" werden, damit sie von dieser nicht abgelehnt,was den Tod der Jungen zufolge hätte, oder gar sofort getötet würden. Aus dem selben Grund sollte man während der Jungenaufzucht in den ersten Tagen nach der Geburt die kleinen Ratten nicht anfassen, da es mitunter vorkommen kann, dass Rattenmütter ihre Babys wegen des Fremdgeruchs nicht mehr annehmen.

Eine Ablehnung durch die Amme kann auch durch das Ausbleiben oder Nicht-Wahrnehmen der Such-oder Hungerlaute der Babys, die im Ultraschallbereich liegen, erfolgen. Normalerweise aber ist der mütterliche Instinkt stark genug, dass leichte Störungen der Tiere in den ersten Tagen nach der Geburt toleriert werden. Ratten akzeptieren das Unterlegen von "Stief"würfen innerhalb der ersten Säugewoche meist problemlos.Wenn es Schwierigkeiten gibt, so liegt das selten an der Amme, sondern vielmehr daran, dass die untergelegten Jungen nicht vital genug sind. Leben die Babys 24 Stunden nach der Annahme durch eine Amme noch, so haben sie sehr gute Chancen, erfolgreich aufgezogen zu werden.

Die Aufgabe einer Amme kann immer nur eine Ratte übernehmen, die zu diesem Zeitpunkt selbst Babys säugt. Bei den meisten Tierarten ist es nämlich nicht möglich, die Milchproduktion ohne eine vorhergehende Trächtigkeit zu induzieren (damit Kühe Milch geben, müssen sie ein Kalb haben). Eine Ausnahme soll die Maus sein. Mir wurde berichtet, dass Mäuse, wenn sie mit Jungtieren konfrontiert werden, spontan mit der Milchproduktion beginnen sollen. Allerdings konnte keine beweisende Literaturstelle gefunden werden, so dass es durchaus sein kann, dass es sich nur um ein "Ammenmärchen" handelt.

Mäuse ziehen ihre Jungen in Gemeinschaftsnestern auf und die Mütter lassen auch fremde Babys säugen. Ratten jedoch ziehen ihre Jungen in der Regel getrennt von den anderen auf. Nur in sehr gro&zlig;en Rudeln soll die Aufzucht von Jungen mitunter auch gemeinschaftlich erfolgen, deshalb ist es auch unwahrscheinlich, dass ein nicht trächtiges, bzw. nicht säugendes Rattenweibchen spontan beginnt, Milch zu produzieren, wenn ihr fremde Babys angelegt werden, sofern sie diese überhaupt akzeptiert. Nicht säugenden Weibchen fehlt zudem die natürliche Hemmung, sich zu fest auf die Jungen zu legen, so dass diese meist erdrückt werden.

Werden Rattenkinder von der Mutter nicht versorgt und es steht keine geeignete Amme zur Verfügung, so kann eine Handaufzucht versucht werden. Eine solche ist aber ungeheuer zeitaufwändig.

Es gibt ein Fertigmilchpulver für Katzenbabys, das mit heißem Wasser angerührt wird.
Milchpulver für Hunde kommt in der Zusammensetzung der Rattenmilch noch näher als Katzenmilch.
Auch ein Humanmuttermilchersatz (Sojaeiweiß, Dextrose,pflanzliche Fette) ist ersatzweise geeignet - Vitamine und Mineralien beigeben. Mittels einer Pipette müssen der aufzuziehenden Ratte jede Stunde 50 µl angewärmte Milch (=Mikroliter), was etwa 1 bis 1 1/2 Tropfen entspricht (1 µl = 1/1000 ml) , mit größter Sorgfalt vorsichtig mindestens 10 bis 14 Tage lang eingegeben werden!

Für kleine Säuger werden im Handel auch Aufzuchtfläschchen angeboten, die jedoch nur bedingt für neugeborene Ratten geeignet sind, da die Sauger meist zu groß sind. Findet sich eine geeignete Flasche mit sehr kleinem Sauger, muss unbedingt darauf geachtet werden, dass auch das Loch im Sauger sehr klein ist!
Es gibt inzwischen im Handel gut geignete kleinste Sauger (Trixie Säugehilfe oder Gimpet Milchflasche inklusive Ersatzsaugerset ), die sich auch für Neugeborene eignen. Es muss sehr sorgfältig aufgepasst werden, dass sich das Kleine nicht verschluckt! Das kann tödlich ausgehen (Verschluckpneumonie).

Der Milch sollte ein Zusatz (Immunglobulinpräparate) beigegeben werden, der die Abwehrkräfte stärkt (beim Tierarzt erhältlich). Dies deshalb, weil in der bei der Handaufzucht nicht verfügbaren Muttermilch Abwehrstoffe enthalten sind, die den Jungen fehlen würden. Es ist dies die sogenannte Kolostralmilch, mit einem gleich nach der Geburt abgegebenen Sekret aus einem erhöhten Anteil aus Eiweiß, Vitaminen, Mineralstoffen und wei&zlig;en Blutkörperchen.

Sie ist durch den Gehalt an Abwehr- und Nährstoffen von großer Bedeutung für das Überleben und spätere Gedeihen der Neugeborenen. Rattenmilch setzt sich zusammen aus 12 % Eiweiß, 15 % Fett und 3 % Milchzucker. Medikamente, die dem Muttertier verabreicht wurden, werden mit der Milch ausgeschieden und von den Babys aufgenommen. Deshalb sollte es nach Möglichkeit vermieden werden, der Mutterratte während der Trächtigkeit und Säugeperiode Medizin zu verabreichen. Bei bestimmten Medikamenten kann es jedoch durchaus erwünscht sein, dass die säugenden Ratten das Medikament mit der Muttermilch aufnehmen, das muss je nach Art der Erkrankung vom Tierarzt therapiert werden. Im Notfall ist es zwingend notwendig, verwaiste Rattenbabys von Hand aufzuziehen.

Tierhalter sollten aber keinesfalls mit Hinweisen wie diesen verunsichert werden, dass zum Beispiel "handaufgezogene Ratten den _Demutsschrei_ lernen müssen, da ansonsten eine spätere Integration schwer bis unmöglich und zum Tod des handaufgezogenen Tieres führen würde." (So berichtet in einer Nagerzeitschrift) In der aggressiven Auseinandersetzung zwischen Männchen werden vom subdominanten Tier Vokalisationslaute ausgestoßen, die sich im Hauptbereich um 20 kHz befinden. Ob diese Laute jedoch der Kommunikation (Verständigung), bzw. Vermittlung von Unterwürfigkeit dienen oder ein mechanisches "Nebenprodukt" sind, ist bislang ungeklärt. Auch ist durchaus umstritten, ob mit dieser Art von Lauten das überlegene Tier tatsächlich "besänftigt" wird, da das unterlegene Tier vor allem auch unterwürfige Verhaltensweisen (Bewegungslosigkeit, defensives Verhalten) zeigt, die sehr wichtig in der Demonstration der Unterlegenheit sind." Ich selbst habe mehrmals handaufgezogene Ratten problemlos integriert, ohne dass sie den seit Jahren immer wieder zitierten "Demutsschrei", dessen Existenz manche Rattenhalter als gegeben betrachten, "gelernt" haben.

Dass Rattenbabys (oder andere Säugetierbabys) an Laktoseintoleranz leiden, ist falsch. Die Milch aller Säugetiere enthält Laktose. Säugetiere, dazu gehört die Ratte und aus Sicht der Biologie z. B. auch der Mensch, trinken naturgemäß als Säuglinge (und nur dann!) Milch, und zwar die ihrer Mutter. Die Muttermilch von Ratten enthält einen Anteil von etwa 3 % Laktose (Milchzucker). Die Laktaseaktivität neugeborener Säuger (auch die des Menschen) ist auf die "Muttermilch" mengenmäßig so eingestellt, dass der Milchzucker problemlos durch das Enzym Laktase gespalten werden kann. Da erwachsene Ratten (Säugetiere) in der Regel keine Milch fressen, brauchen sie normalerweise auch keine Laktase (Enzym zur Verdauung von Laktose). Laktase verschwindet natürlicherweise nach dem Absetzen, aber wenn eine Ratte immer mit Milchprodukten gefüttert wird, so bleibt die Laktase weiter aktiv (wie beim Menschen). Bei handaufgezogenen, abgesetzten Babyratten oder erwachsenen (kranken) Tieren kann man z. B. auf laktosefreie Milchprodukte zurückgreifen (Milch, Sahne, Quark usw). Naturjoghurte (mit lebenden Milchsäurebakterien, lebenden Joghurtkulturen) enthalten das Enzym Laktase, sind also in der Lage, Laktose zu spalten und daher meist gut verträglich.

Sehr wichtig ist, dass nach jeder Mahlzeit das kleine Bäuchlein leicht massiert wird, damit wird die Kot- und Urinabgabe angeregt. Das kann z.B. gut mit einem angefeuchteten Wattestäbchen gemacht werden.

Dabei ist völlig unerheblich, ob man im _Uhrzeigersinn_massiert, oder entgegengesetzt. Die Rattenmutter ist ja kein Uhrwerk, von daher ist es am besten, wenn man mit dem Wattestäbchen mehr von oben nach unten (und umgekehrt) sanft hin und her reibt, das kommt der Bewegung der Rattenzunge am nähesten.
Neugeborene können in einer mit weichem Küchen- oder WC-Papier ausgepolsterten Schachtel Unterschlupf finden. Das Papier muss täglich erneuert werden. Ein weiches Tuch kann die noch nackten Rattenkinderchen vor dem Auskühlen schützen. Die Kleinen dürfen aber auch nicht zu warm gehalten werden (Hitzestau), daher immer wieder kontrollieren und das Tuch evtl. etwas beiseite schieben. Sie sollten 10 bis 14 Tage lang, einmal pro Stunde, mindestens aber alle 2 Stunden, auch nachts gefüttert werden! Mit zunehmendem Alter der Rattenkinder können die Abstände von einer Fütterung zur nächsten verlängert werden. Die Chancen einer Aufzucht stehen recht gut, wenn die Rattenbabys Nahrung aufnehmen und verdauen.

Sobald die Kleinen etwas älter sind, kann die Milch durch Zusatz von etwas Babybrei (sehr gut geeignet ist Bebivita Gries-Vanille, oder Milchbreie von Alete oder Hipp im Glas) leicht angedickt werden (die Milch mit dem Brei gut vermischen, so dass sie dadurch etwas dickflüssiger wird, jedoch noch mit der Pipette gefüttert werden kann). Später kann die Milch durch diesen Brei mit einem Zusatz an Multivitaminpräparat, etwas Traubenzucker, Mineralstoffen, Joghurt ohne Frucht und etwas Kondensmilch ersetzt werden. Im Anschluss daran, wenn die Ratten anfangen selbstständig Nahrung aufzunehmen, bieten wir Haferflocken und eine gute Fertigfuttertrockenmischung an. Kolbenhirse wird von den Kleinen ebenfalls sehr gut angenommen und ist wegen der Größe und Konsistenz der Körner gut geeignet. Dazu Obst- und Gemüsesorten wie Apfel, Karotte, Salatgurke, Salat, Spinat, Banane.

Die Breimischung kann ergänzt werden mit Nutrical oder wahlweise Calo-Pet/Vita-Pet Spätestens dann, wenn die Kleinen zu krabbeln beginnen und erste Versuche starten, ihre Umgebung zu erkunden, ist es Zeit, sie in einem geeigneten Käfig unterzubringen. Der Abstand der Gitterstäbe darf nicht zu groß sein, da sie sonst schnell entwischen.


Aufzucht von Wildrattenbabys



Bereits mehrmals wurde ich um Rat gefragt, weil Rattenhalter ein Nest mit Wildrattenbabys fanden oder diese ihnen gebracht wurden, weil entweder das Nest zerstört und/oder die Eltertiere getötet wurden. In jedem Fall ist ein an die Handaufzucht anschließendes Auswildern von Wildrattenbabywaisen einer späteren Haltung in einem Käfig zu begrüßen, bzw. vorzuziehen! Nicht nur dann, wenn der "Finder" sie nicht selbst halten kann oder möchte.

Einige wichtige Aspekte müssen und sollten dabei berücksichtigt werden: Ratten, die ausgewildert werden sollen, dürfen möglichst wenig Kontakt zu (ihren) Menschen haben! Das heißt, nach der Aufzucht mit der Pipette, sobald die Kleinen selbständig Nahrung aufnehmen, bitte so wenig wie möglich bis keinen Kontakt mehr zu den Tieren haben und keinesfalls mehr in die Hände nehmen, oder gar mit ihnen "schmusen". Je scheuer sie bleiben, bzw. (wieder) werden, um so besser! Schließlich sollen sie ja später nicht auf jeden Menschen, der ihnen begegnet zulaufen, und sich damit der Gefahr aussetzen, dass der sie tötet! Soweit überhaupt erforderlich, nach dem "Entwöhnen" die Ratten nur noch mit Handschuhen aus dem Käfig nehmen, ansonsten "nur" Futter und Wasser reichen! Den Käfig wenn möglich in einen wenig frequentierten Raum stellen, dicke Käfigeinstreu und gute Versteckmöglichkeit bieten und die Tiere so wenig wie möglich stören.

Wenn es dann soweit ist, sollte der Platz zum Auswildern sorgfältig ausgesucht werden. Es ist wichtig, dass er nicht oder nur sehr gering von Menschen frequentiert wird, gute Deckung bietet (Gebüsche, dichter Bewuchs) und ein Gewässer in der Nähe ist (Bach/Teich). Bevor die Ratten "freigelassen" werden, ist es empfehlenswert, für die ersten Tage eine Ration Trockenfutter an einer geschützten Stelle auszulegen. Gut geeignet für die Freilassung sind die frühen Morgenstunden an einem Tag, an dem es nicht zu heiß, bzw. zu kalt sein sollte und möglichst kein Niederschlag herrscht, da die Ratten bisher nur an die Wohnung und ihr warmes Nest gewöhnt waren. Sie sollten genügend Zeit haben, sich für die kalte, heiße und nasse Zeit eine entsprechende Unterkunft zu suchen.

Wer einen Balkon oder Garten hat, kann die Ratten einige Tage vor dem Auswildern langsam an die Außentemperaturen gewöhnen. Sie müssen sich im Käfig jedoch in eine geschützte Zone (vor Hitze/Kälte und Nässe) zurückziehen können. Selbstverständlich sollten im Winter keine Jungratten ausgewildert werden. Sie würden die Kälte unvorbereitet nicht überstehen! Es sollte kein Frost herrschen, wenn Jungratten ausgewildert werden! Wer die Möglichkeit hat, sollte sie dann in jedem Fall bis zum Frühjahr zu Hause wie oben beschrieben pflegen und dann freilassen. Wer das nicht kann oder möchte, sollte im Tierheim nachfragen, ob die Ratten bis zum Frühling dort untergebracht werden können.